Fall: "Testaments-Wirrwarr"

BayObLG, Beschluss vom 4.Februar 2000, Gz: 1Z BR 16/99

Eine im Alter von 74 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Der Nachlass besteht aus einer Eigentumswohnung und  beträchtlichen Bankguthaben. Um das Erbe streiten sich insgesamt sieben Beteiligte, nämlich der Sohn des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin aus dessen erster Ehe  und die drei Kinder dieses Sohnes, eine Nichte der Erblasserin und deren Sohn sowie  ein Neffe der Erblasserin. Alle sieben Personen haben sich Hoffnungen auf das Erbe gemacht, die auch – scheinbar – nicht unbegründet waren.

Die Erblasserin hat nämlich in den Jahren von 1972 bis 1997 insgesamt 20 letztwillige Verfügungen getroffen, die dem Nachlassgericht bekannt wurden. Unter diesen Verfügungen waren vier notariell beurkundete Testamente,  die in die besondere amtliche Verwahrung gegeben wurden. Ferner hatte die Erblasserin 15 privatschriftliche Testamente verfasst, die sie teilweise in die amtliche Verwahrung gegeben hatte. Die übrigen letztwilligen Verfügungen wurden im Nachlaß gefunden und dem Nachlassgericht übergeben. Unter letzteren Schriftstücken fand sich in einem blauen Notizbuch eine unter der Überschrift „Mein letzter Wille“ am 6.9.1994 eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung der Erblasserin, wonach eine Stiftung zum Alleinerben eingesetzt wurde.

Das Landgericht hat diese Erklärung als gültiges Testament und nicht nur als Testamentsentwurf  angesehen. Das Landgericht hat sein Ergebnis damit begründet, dass das Testament der Form des   § 247 BGB entspreche, da es eigenhändig ge- und unterschrieben war. Die Tatsache, dass das Testament in ein Notizbuch eingetragen war, spreche nach Ansicht des Landgerichts nicht gegen den Willen der Erblasserin, hier ein Testament zu errichten,  da sie früher auch schon ein Testament auf einem Briefumschlag errichtet habe.

Das BayObLG, das in letzter Instanz über die Frage der Gültigkeit dieses Testaments zu entscheiden hatte, hat den Beschluß des Landgerichts aufgehoben und befunden, dass es sich bei der Notizbucheintragung nicht um ein Testament gehandelt hat.

Das BayObLG hat hierzu ausgeführt:

Letztwillige Verfügungen müssen mit dem ernstlichen Willen des Erblassers, ein Testament zu errichten und rechtsverbindliche Anordnungen zu treffen, getroffen werden. Es muß außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die Urkunde als seine rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat. Dieser ernstliche Wille zu testieren folgt bei privatschriftlichen Erklärungen nicht in jedem Fall aus der Erfüllung aller Formerfordernisse eines eigenhändigen Testaments. Auch bei Einhaltung der Form darf die Urkunde nach dem in ihr verlautbarten oder anderweitig feststellbaren Willen des Erblassers nicht als bloßer Entwurf gefertigt sein oder sonst nur eine vorbereitende oder unverbindliche Bedeutung haben. Ob der Erblasser im Einzelfall  ernstlich eine letztwillige Verfügung treffen wollte, muß vom Gericht im Wege der Auslegung unter Heranziehung aller erheblichen auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung entschieden werden.

Das Landgericht hat bei seiner Feststellung, es handle sich bei den mit „Mein letzter Wille“  überschriebenen Erklärungen im blauen Notizbuch um ein Testament, nicht nur um einen Entwurf, nicht alle für die Beurteilung dieser Frage wesentlichen Umstände berücksichtigt und erörtert. Anhand des Umstandes, dass die Erblasserin in den Jahren 1989 bis 1994 mehrere eigenhändige Testamente an das Nachlassgericht zur amtlichen Aufbewahrung übersandt hat, hätte das Landgericht sich mit einer stilistischen Eigentümlichkeit der Testamente der Erblasserin auseinandersetzen müssen. Die Erblasserin hat ihre an das Nachlassgericht übersandten Testamente häufig so formuliert, als ob sie die Rechtsfolge nicht bereits als unmittelbare Folge der Niederschrift ihres letzten Willens, sondern erst einer ihrem Willen entsprechenden Tätigkeit des Nachlassgerichts angesehen habe. In den dem Nachlassgericht zur amtlichen Aufbewahrung übersandten Testamenten hat die Erblasserin nämlich jeweils formuliert: „Bitte .... enterben Sie diese Leute“, „Bitte enterben Sie  A., G. und den 35 Jahre alten J.“, „Bitte beachten alle enterbt F. mit Kinder J. mit Frau“, und schließlich „Also bitte kein Erbrecht der Frau V.... bitte das berücksichtigen“. Diese Eigentümlichkeiten in den Formulierungen deuten auf die Vorstellung der Erblasserin hin, dass Erbeinsetzungen erst mit der Mitteilung an das Nachlassgericht Wirksamkeit entfalten. Auch der Umstand, dass sie in den dem Nachlassgericht zeitlich nach dem „Notizbuch-Testament“ übersandten Testamenten nochmals Verfügungen traf, die sie bereits im Notizbuch getroffen hätte, wenn es sich dabei nach ihrer Vorstellung um ein Testament gehandelt hätte, begründen ernstliche Zweifel daran, dass es sich bei den im blauen Notizbuch niedergelegten Erklärungen der Erblasserin nach ihren Vorstellungen bereits um verbindliche letztwillige Verfügungen handelte und nicht nur um vorbereitende Erklärungen, deren Verbindlichkeit (nach den Vorstellungen der Erblasserin) erst mit der Absendung an das Nachlassgericht eingetreten wäre.

Da der ernstliche Testierwille des Erblassers außer Zweifel stehen muss, kann die Erklärung im blauen Notizbuch nicht als Testament angesehen werden, sondern die wahren Erben müssen mit Hilfe der anderen dem Gericht vorliegenden letztwilligen Verfügungen ermittelt werden.

(BayObLG, Beschluss vom 4.Februar 2000, Gz: 1Z BR 16/99)

München, den 30. März 2000

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