1. Strafrechtsgeschichte
Die Geschichte des deutschen Strafrechts beginnt mit der germanischen Zeit, die bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts dauerte. Die germanischen Stammesrechte schrieben Bußleistungen oder –Zahlungen des Täters an die Opfer der Straftat vor. Öffentliche Bestrafung war allenfalls bei gegen die Gemeinschaft gerichteten Taten wie etwa einem Verrat militärischer Vorhaben denkbar.
In der fränkischen Ära zwischen 5. und 9. Jahrhundert wurde das staatliche Strafrecht gestärkt und zunehmend schriftlich niedergelegt. Auch Stammesrechte wurden niedergeschrieben. Im Mittelalter kam es zu einer Verlagerung der Strafgewalt auf lokale Machthaber, Städte und Territorialherrscher. Leibesstrafen und Folter gewannen an Bedeutung. Eine einheitliche Grundlage für das Strafrecht schufen private Rechtssammlungen wie der Sachsenspiegel (1230). Ein wichtiger Meilenstein war die Constitutio Criminalis Carolina, gewissermaßen das erste einheitliche deutsche Strafgesetzbuch, erlassen durch Kaiser Karl V. im Jahr 1532. Durch sie wurde der so genannte Ordalprozess, bei dem das Gottesurteil als Beweismittel zur Anwendung kam, durch einen Indizien- und Geständnisprozess ersetzt. Das Mittel zur Erlangung des Geständnisses war die Folter, deren Voraussetzungen gesetzlich geregelt waren. Die Carolina systematisierte das deutsche Recht. Allerdings setzte sie auch als Strafe für schadensbringende Zauberei den Tod auf dem Scheiterhaufen fest und schuf damit die rechtliche Grundlage für mehrere von fanatischen Kirchenkreisen geförderte Wellen der Hexenverfolgung, die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches bis ins 18. Jahrhundert etwa 25.000 Menschenleben forderte – dies entspricht der Anzahl der Opfer im gesamten übrigen Europa in dieser Zeit. Zu Beginn der Aufklärung setzen sich immer mehr Rechtswissenschaftler für eine stärkere Orientierung an der Vernunft ein. Preußenkönig Friedrich II. schaffte mit seinem Amtsantritt 1740 die Folter ab. Das Strafrecht wurde nun von Freiheitsstrafen geprägt und fand sich im Preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) und in den Gesetzen der anderen deutschsprachigen Länder. 1851 wurde ein preußisches Strafgesetzbuch erlassen, das Basis für das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 wurde. 1871 wurde dieses Gesetz zum Reichsstrafgesetzbuch für das nun gegründete Deutsche Reich. Mit vielen Änderungen gilt es noch heute. Die Nationalsozialisten führten verschiedene Änderungen ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder entfernt wurden – so etwa die Anwendung der Analogie im Strafrecht oder die Entmannung von Sexualverbrechern.
Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches (§§ 1 – 79b) regelt allgemeine Prinzipen, die für das gesamte Strafrecht gelten. So werden die unterschiedlichen Begehungsformen einer Tat definiert, also Vollendung und Versuch, Täterschaft und Teilnahme mit der Untergliederung in Anstiftung und Beihilfe, Vorsatz und Fahrlässigkeit, Begehung und Unterlassung. Auch Notwehr und Notstand werden definiert und die grundlegenden Rechtsfolgen von Straftaten festgelegt. Der Allgemeine Teil regelt auch die Stellung eines Strafantrages und enthält die Verjährungsvorschriften. Das deutsche Strafrecht unterscheidet Vergehen und Verbrechen. Als Verbrechen gilt dabei jede Straftat, die nach dem StGB mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe sanktioniert wird.
Der Besondere Teil (§§ 80 – 358) enthält die einzelnen strafbaren Tatbestände. Diese sind thematisch geordnet. Das deutsche Strafrecht definiert für viele Straftaten einfache und qualifizierte Begehungsweisen, auf die unterschiedliche Strafen stehen. Beispielsweise ist die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen als Totschlag zu beurteilen (mindestens fünf Jahre Haft, bis zu lebenslänglich). Das Gesetz nennt bestimmte Motive und Begehungsweisen, die einen Totschlag zum Mord machen (etwa Tötung aus Habgier, Tötung auf heimtückische Weise oder mit gemeingefährlichen Mitteln). Ein Mord wird immer mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft.
Wichtige Abschnitte des Besonderen Teils betreffen u.a. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung), Straftaten gegen die persönliche Freiheit (z.B. Menschenhandel, Kindesentziehung, Freiheitsberaubung), Diebstahl und Unterschlagung, Raub und Erpressung, Betrug und Untreue, Sachbeschädigung. Delikte aus dem wirtschaftlichen Bereich sind z.B. Insolvenzstraftaten oder Straftaten gegen den Wettbewerb.
Beispiele zum Strafmaß:
für Betrug.
drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Für viele Delikte werden in der Praxis Geldstrafen verhängt. Körperverletzung oder Sachbeschädigung werden nur in extremen Fällen oder bei vielfacher Wiederholung zu einem Gefängnisaufenthalt führen. Verminderte Schuldfähigkeit etwa durch eine psychische Erkrankung kann zu einer Verringerung der Strafe führen. Das Gericht kann jedoch auch eine besonders schwere Schuld feststellen – z.B. bei besonders grausamen Tötungsdelikten. Dies verhindert bzw. verzögert eine vorzeitige Haftentlassung.
Das deutsche Strafrecht sieht so genannte zeitige Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren oder Geldstrafen vor. Ferner ist für wenige Delikte – Mord oder Hochverrat gegen den Staat - die lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat 1977 entschieden, dass jeder Verurteilte die Chance bekommen muss, wieder ein Leben in Freiheit zu führen. Dementsprechend wird nach einer gewissen Haftzeit ein Haftprüfungsverfahren durchgeführt, bei dem die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung geprüft wird. Die Verhängung einer mehrfach lebenslänglichen Freiheitsstrafe oder von Strafzeiträumen, die die normale Lebensspanne eines Menschen überschreiten, ist im deutschen Recht nicht vorgesehen. Ein zu lebenslänglicher Haft Verurteilter hat nach 15 Jahren erstmals die Möglichkeit, vorzeitig in Freiheit zu gelangen. Dies ist davon abhängig, dass
Liegt ein Fall besonders schwerer Schuld vor – etwa bei der Ermordung mehrerer Menschen oder besonderer Grausamkeit – ist eine vorzeitige Entlassung frühestens nach 18 Jahren möglich. Diese Regeln werden in den deutschen Bundesländern unterschiedlich streng ausgelegt. In der Praxis beträgt die durchschnittliche Haftdauer von zu lebenslänglicher Haft Verurteilten je nach Bundesland 20 bis 27 Jahre. Stellt der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, kann das Gericht eine auf die Strafe folgende Sicherheitsverwahrung anordnen. Bei psychisch kranken Straftätern ist auch die Einweisung in ein geschlossenes psychiatrisches Krankenhaus möglich. Beide Maßnahmen sind zeitlich unbefristet und können bis zum Ende des Lebens des Täters andauern. Eine Entlassung ist möglich, wenn der Täter aus medizinischer Sicht als geheilt gilt bzw. keine Gefahr mehr darstellt.
Das deutsche Strafprozessrecht ist in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Grundsätzlich entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens, das einen ausreichenden Anfangsverdacht auf eine Straftat voraussetzt. Die Polizei führt die Ermittlungen durch. Herrin des Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft, die aus eigenem Antrieb oder auf die Strafanzeige eines Bürgers hin tätig wird. Bei Vorliegen ausreichender Beweise gegen eine bestimmte Person wird durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, auch Beweismittel zu Gunsten des Beschuldigten zu sammeln und vorzutragen. Videofilmaufnahmen oder heimlich angefertigte Tonaufnahmen von Gesprächen sind keine zulässigen Beweismittel.
Der Richter leitet das Strafverfahren. Staatsanwaltschaft und Richter sind von einander und von anderen staatlichen Stellen unabhängig. Richter sind nicht weisungsgebunden, die Staatsanwaltschaft hat sich in eingeschränktem Rahmen an die Weisungen der ihr vorgesetzten Justizministerien zu halten. Das Gericht unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. es muss von Amts wegen alle für die Beurteilung der Straftat wichtigen Umstände ermitteln und berücksichtigen. Der Richter darf sich daher nicht allein darauf verlassen, dass Staatsanwaltschaft oder Verteidigung alle relevanten Beweise vorlegen; er muss selbst den wahren Tatablauf ermitteln. Dies kann z.B. durch eine Besichtigung des Tatortes, die Ladung von Zeugen oder die Hinzuziehung von Sachverständigen geschehen.
Geschworenengerichte existieren in Deutschland nicht, allerdings werden in engem Rahmen Laien als Beisitzer (so genannte Schöffen) eingesetzt. Schöffengerichte bestehen aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Schöffen. Die ehrenamtlichen Schöffen haben das gleiche Stimmrecht wie der Richter. Das Schöffengericht wird am Amtsgericht gebildet und ist nur für Straftaten zuständig, die nicht in die Zuständigkeit eines Einzelrichters fallen und über die nicht wegen ihrer besonderen Bedeutung in erster Instanz beim Landgericht verhandelt wird. Es darf eine Freiheitsstrafe von maximal vier Jahren aussprechen und keine Sicherungsverwahrung oder Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik anordnen.
Nicht mit Geschworenengerichten verwechselt werden dürfen die Schwurgerichte am Landgericht. Diese sind mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Schöffen besetzt und verhandeln in erster Instanz hauptsächlich über Tötungsdelikte. Die Bezeichnung Schwurgericht stammt aus der Zeit von vor 1924, als auch in Deutschland noch Geschworenengerichte existierten.
Die deutsche Strafprozessordnung unterscheidet zwischen Offizial- und Antragsdelikten. Offizialdelikte werden vom Staat grundsätzlich verfolgt. Bei Antragsdelikten unterscheidet man zwischen absoluten und relativen Antragsdelikten. Absolute Antragsdelikte werden ausschließlich auf den Strafantrag des Verletzten hin verfolgt. Ein solches Delikt ist der Hausfriedensbruch. Relative Antragsdelikte können zusätzlich auch auf Betreiben des Staates hin verfolgt werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die einfache Körperverletzung ist ein solches Delikt.
Die in § 374 der StPO genannten Antragsdelikte können vom Opfer in einem speziellen Verfahren verfolgt werden: Mit der Privatklage. Hierbei handelt es sich um ein selten angewandtes strafrechtliches Verfahren, bei dem das Opfer gewissermaßen die Rolle der Staatsanwaltschaft als Ankläger übernimmt. Die Staatsanwaltschaft wird in diesem Verfahren nicht tätig, die Beweise sind dem Gericht vom Opfer vorzulegen. Privatklagedelikte sind z.B. die Beleidigung, die Sachbeschädigung und die Körperverletzung.
Für die Privatklagedelikte gibt es eine weitere Besonderheit: Vor Erhebung einer Klage muss versucht zwingend versucht werden, die Angelegenheit vor einer Schiedsstelle gütlich beizulegen. Erst wenn dieser so genannte Sühneversuch gescheitert ist, kann die Privatklage erhoben werden.
Als Rechtsmittel existieren im Strafrecht die Beschwerde, die Berufung und die Revision. Die Beschwerde richtet sich nicht gegen Urteile, sondern gegen die von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und Verfügungen. Wie auch im Zivilrecht werden im Rahmen der Berufung auch noch sachliche Fragen verhandelt – etwa zu den Tatumständen. Nur hier findet ggf. noch eine neue Beweisaufnahme statt. Im Rahmen der Revision geht es nur noch um Rechtsfehler der Vorinstanz. Die Revision richtet sich im Strafrecht gegen Urteile des Strafrichters, der Schöffengerichte, der Strafkammern des Landgerichts und gegen erstinstanzliche Urteile der Oberlandesgerichte. Gegen die Urteile der Schwurgerichte ist keine Berufung, sondern nur die Revision zulässig.
Im Rahmen eines Rechtsmittels darf keine Verschlechterung für den Angeklagten eintreten, ein härteres Urteil als in der Vorsinstanz kann nicht verhängt werden.Alle Rechte vorbehalten; www.internetratgeber-recht.de
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