Den Grundstein für die Schaffung der späteren Europäischen Union legte gewissermaßen bereits Winston Churchill, der 1946 in seiner Züricher Rede die „Neugründung der Europäischen Familie“ anregte. Anlass waren Kriegsschäden und Überschuldung aller europäischen Staaten. Hilfreich war der Marshall-Plan, für dessen Umsetzung das ERP (European Recovery Program) und die OEEC (Organization for European Economic Cooperation) gegründet wurden. Die Bundesrepublik trat 1949 bei. 1949 wurde in Strassburg auch der Europarat mit zehn Mitgliedern gegründet, dem Deutschland 1951 beitrat. Es entstanden wichtige Verträge wie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, 1950). Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften nahm ihren Anfang mit der Schaffung der Montanunion oder Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) am 18.4.1951. Die Pariser Verträge begründeten 1955 die EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft). 1957 schlossen die Montanunion-Staaten einschließlich Deutschland Verträge über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Als Ziel der EWG wurde die Schaffung eines gemeinsamen Marktes definiert. Der Fusionsvertrag von 1965 schließlich vereinigte die Organe von EWG, EGKS und EAG zur Kommission für Europäische Gemeinschaften (EG). Nun entstanden der Ministerrat, die Kommission mit gewählten Vertretern, der Europäische Rat, der Europäische Gerichtshof und das Europäische Parlament. Der EU-Vertrag, welcher auch die Schaffung einer gemeinsamen Währung als Ziel definierte, wurde 1993 ratifiziert. Heute hat die EU 27 Mitgliedsstaaten.
Man unterscheidet das Europarecht im weiteren und im engeren Sinne. Das Europarecht im weiteren Sinne beinhaltet das Europarecht im engeren Sinne sowie das Recht europäischer Organisationen wie OECD, OSZE, Westeuropäische Union, Europarat. Das Recht dieser Organisationen ist Völkerrecht; es bindet nur die jeweiligen Teilnehmerstaaten der einzelnen Organisation. Die Bürger dieser Staaten bindet es nur, wenn eine Umsetzung durch nationale Gesetze stattfindet. Auch europäische Verträge gehören zum Europarecht: z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention oder das Schengener Abkommen zum Verzicht auf Grenzkontrollen.
Unter Europarecht im engeren Sinne versteht man das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EWG, EAG, EGKS bis 2002) und der Europäischen Union. Es handelt sich dabei um ein dem Recht der Einzelstaaten übergeordnetes eigenes Rechtssystem.
Die Grundlage der Europäischen Union bilden die so genannten drei Säulen: Zuerst die Europäischen Gemeinschaften, die z.B. Agrarpolitik, Forschung oder Sozialpolitik koordinieren. Zweite Säule ist die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, deren Themen z.B. Hilfeleistungen für außereuropäische Staaten oder die Bekämpfung des Terrorismus sind. Die dritte Säule bildet die Zusammenarbeit von Polizei- und Justizbehörden – sei es bezüglich der grenzüberschreitenden Eintreibung von Bußgeldern für Straßenverkehrsdelikte oder hinsichtlich der Eindämmung des Menschenhandels. Eine eigene Rechtspersönlichkeit wird die EU erst mit der Unterzeichnung und Ratifizierung der EU-Verfassung erlangen.
Das Europarecht im engeren Sinne kann unterteilt werden in Primär- und Sekundärrecht. Das Primärecht umfasst internationale Verträge wie den Maastrichter Vertrag von 1992. Das Sekundärrecht beruht auf diesen Verträgen und hauptsächlich besteht aus Verordnungen und Richtlinien. Europäische Verordnungen gelten unmittelbar in den Mitgliedsstaaten, ohne das ein nationales Gesetz zu ihrer Umsetzung erforderlich wäre. Richtlinien verpflichten die Mitgliedsstaaten dazu, innerhalb einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen – etwa die Emission bestimmter Schadstoffe um einen bestimmten Prozentsatz zu senken. Die Umsetzung der Richtlinien erfolgt durch nationale Gesetze.
Neue Rechtsetzungsakte werden allein durch die Europäische Kommission vorgeschlagen.
Die Vorschläge müssen folgende Kriterien erfüllen:
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Grundprinzip des europäischen Rechts. Der Begriff Subsidiarität beschreibt ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis. Im Bereich der Gesetzgebung bedeutet er, dass für die Umsetzung eines Gesetzes untergeordnete Stellen zuständig sind und übergeordnete Stellen hinter diesen zurücktreten. Dieser Grundsatz dient dazu, eine möglichst bürgernahe Umsetzung von Vorschriften zu erreichen. Festgeschrieben ist das Prinzip in der Präambel sowie in Art.2 des Vertrages über die Europäische Union.
Die Kommission leitet Gesetzgebungsvorschläge an den Rat und das Europaparlament weiter. Der Rat kann Gesetzgebungsvorschläge per Mehrheitsbeschluss ändern. Stimmt die Kommission dem nicht zu, ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich. In einigen Bereichen der Rechtsetzung sind Europäisches Parlament und Rat gleichermaßen zur Mitentscheidung berechtigt. Es gibt jedoch Sachgebiete, bei denen das Parlament lediglich konsultiert wird.
Die Kommission hat ferner die Aufgabe, die Einhaltung des EU-Rechts durch die Mitgliedsstaaten zu überwachen. Stellt sie fest, dass ein Mitgliedsstaat sich nicht an das EU-Recht hält, kann sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diesen einleiten. Äußert sich der Mitgliedsstaat in dessen Verlauf nicht zufrieden stellend, kann sie ihm eine Frist zur Herstellung der Vertragstreue setzen. Bei Versäumung der Frist droht dem Mitgliedsstaat eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Bei Verstößen gegen den EU-Vertrag kann die Kommission auch Bußgelder gegen Einzelpersonen oder Unternehmen erwirken.
Die deutsche Gesetzgebung ist in allen Bereichen vom EU-Recht beeinflusst worden. Allerdings geht die Umsetzung von Richtlinien teilweise nur langsam voran. Ein Beispiel dafür ist die Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie und der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH-RL), die im Rahmen des Natura-2000-Programmes die Einrichtung eines zusammenhängenden Gürtels von Schutzgebieten vorsahen. Dies stieß auf heftigen Widerstand aus der deutschen Landwirtschaft. Die Frist zur Umsetzung der FFH-RL lief am 05.06.1994 ab. Erst am 01.01.1998 wurden das deutsche Baugesetzbuch und das Raumordnungsgesetz geändert. Diese Regelungen verwiesen auf das Bundesnaturschutzgesetz, welches erst 1998 nach Androhung von Zwangsgeldern durch den Europäischen Gerichtshof geändert wurde. Die Kommission leitete im Jahr 2000 ein Mahnverfahren ein, in dem sie die mangelnde Übereinstimmung der Gesetze mit den Richtlinien angriff. Das Bundesnaturschutzgesetz wurde daraufhin angepasst, überließ aber viele konkrete Regelungen den Bundesländern, was zu weiteren Verzögerungen führte. 2002 wurde das Bundesnaturschutzgesetz erneut geändert. Es gibt immer noch Bereiche, in denen Kritiker die deutsche Rechtslage als nicht richtlinienkonform ansehen.
Ein Beispiel für eine EU-Verordnung, die direkt in den Mitgliedsstaaten zum geltenden Recht wird, ist die Verordnung über die Rechte von Fluggästen vom 17.2.2005. Sie sieht bei Überbuchung höhere Ausgleichsleistungen als früher vor. Bei Verspätungen hat der Fluggast Anspruch auf Versorgungsleistungen. Er kann ferner vom Flug zurücktreten. Fällt der Flug ohne rechtzeitige Information aus, hat er das Anrecht auf gestaffelte Ausgleichszahlungen.
Vor dem Europäischen Gerichtshof gibt es zwei gängige Klagearten. Es handelt sich um das Vertragsverletzungsverfahren und das Vorabentscheidungsverfahren. Das Vertragsverletzungsverfahren wird von der Europäischen Kommission gegen einen Mitgliedsstaat beantragt. Der EuGH hat dann zu prüfen, ob dieser Staat seine Pflichten aus dem EU-Vertrag vernachlässigt hat. Ein Mitgliedsstaat kann vor dem EuGH auch gegen einen anderen Mitgliedsstaat vorgehen, was allerdings ein Vorverfahren mit Beteiligung der Komission voraussetzt. - Im Vorabentscheidungsverfahren legen die nationale Gerichte dem EuGH Fragen vor, die in einem Verfahren aufgetaucht sind und das Gemeinschaftsrecht und seine Auslegung betreffen. Das nationale Gericht unterbricht sein eigenes Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH. Das vorlegende Gericht ist an die Entscheidung des EuGH gebunden. Die Vorlage solcher Fragen ist für nationale Gerichte freiwillig, verpflichtet sind dazu allerdings die Gerichte letzter Instanz.
Ein aktuelles Beispiel ist die Klage des deutschen Rewe-Handelskonzerns gegen ein deutsches Finanzamt. Der Konzern wollte Verluste einer niederländischen Tochtergesellschaft von seinen Einnahmen steuerlich abschreiben. Das deutsche Steuerrecht erlaubt dies jedoch nur für Verluste inländischer Tochtergesellschaften. Das zuständige Gericht legte die Angelegenheit dem EuGH vor, der in einem Vorabentscheidungsverfahren entschied, dass die deutsche Regelung gegen die im EU-Vertrag vereinbarte Niederlassungsfreiheit verstoße. Das deutsche Finanzministerium prüft zurzeit mögliche Gesetzesänderungen.
In der ersten Hälfte des Jahres 2007 hat Deutschland zum zwölften Mal die Ratspräsidentschaft im Rat der Europäischen Union inne. Wichtige Themen in dieser Zeit sind die Wiederbelebung der Bemühungen um eine gemeinsame europäische Verfassung und die Vorbereitung der Aufnahme neuer Mitglieder, wobei besonders der Beitritt der Türkei in Deutschland lebhaft diskutiert wird.Alle Rechte vorbehalten; www.internetratgeber-recht.de
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